Die Botschaft des Papstes im Wortlaut
Botschaft von Papst Benedikt XVI. zum XXII. Weltjugendtag (Palmsonntag, 1. April 2007)
„Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34)
ROM, 5. Februar 2007 (ZENIT.org).- Wir veröffentlichen eine eigene Übersetzung der Botschaft, die Papst Benedikt XVI. aus Anlass des XXII. Weltjugendtags an die Jugendlichen in aller Welt gerichtet hat.
Der Papst ermutigt die jungen Leute, an die Liebe zu glauben und ihr im eigenen Leben Raum zu geben. Er führt sie in seinem Schreiben, das am Montag im Vatikan vorgestellt wurde, durch drei Stationen hindurch, um ihnen so einige Grundprinzipien der Liebe näher zu bringen, und verweist anschließend auf drei Bereiche, in denen sie in besonderer Weise aufgerufen sind, „Zeugen der Liebe Christi“ zu sein: in der Kirche, bei der Vorbereitung auf die Zukunft, im Alltag (Familie, Schule, Arbeit und Freizeit).
Abschließend bekräftigt der Heilige Vater daran, dass nur der imstande sei, wie Christus zu lieben, der die Hilfe der göttlichen Gnade in Anspruch nimmt. In diesem Sinn lädt er alle dazu ein, regelmäßig zu beten, die Heilige Messe zu besuchen und dadurch bereit zu werden, „die Liebe zu wagen“. Damit meint er, dass sie nicht weniger für ihr Leben ersehnen sollen „als eine starke und schöne Liebe, die fähig ist, das ganze Dasein zu einer freudigen Verwirklichung der Gabe Eurer selbst an Gott und die Brüder zu machen, in Nachahmung dessen, der durch seine Liebe für immer den Hass und den Tod besiegt hat“.
„Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34)
Liebe Jugendliche,
anlässlich des XXII. Weltjungendtages, der am kommenden Palmsonntag in den Diözesen gefeiert wird, möchte ich Euch zur Meditation diese Worte Jesu vorschlagen: „Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34).
Ist es möglich zu lieben?
Jeder Mensch verspürt den Wunsch, zu lieben und geliebt zu werden. Und dennoch: Wie schwierig ist es zu lieben; wie viele Irrtümer und Fehlschläge sind bei der Liebe zu verzeichnen! Manch einer kommt sogar dazu, daran zu zweifeln, dass die Liebe möglich ist. Wenn aber emotionale Mängel oder Enttäuschungen im Gefühlsleben auch daran denken lassen, dass Liebe eine Utopie ist, ein unerreichbarer Traum – darf man deshalb resignieren? Nein! Die Liebe ist möglich, und Ziel dieser meiner Botschaft ist es, einen Beitrag zu leisten, damit in jedem von Euch, die Ihr die Zukunft und die Hoffnung der Menschheit seid, das Vertrauen in die wahre, treue und starke Liebe neu geweckt wird – eine Liebe, die Frieden und Freude hervorbringt; eine Liebe, die die Menschen zusammenschweißt, so dass sie sich in gegenseitiger Achtung frei fühlen. Lasst uns also gemeinsam die drei Stationen des Weges hin zur „Entdeckung“ der Liebe beschreiten.
Gott, Quelle der Liebe
Die erste Station betrifft die Quelle der wahren Liebe. Es gibt nur eine einzige Quelle der Liebe, und das ist Gott. Der heilige Johannes macht dies deutlich, wenn er erklärt, dass Gott „die Liebe“ ist (1 Joh 4,8.16). Nun will er nicht nur sagen, dass Gott uns liebt, sondern dass das Sein Gottes selbst Liebe ist. Wir stehen hier vor der hellsten Offenbarung der Quelle der Liebe, die das Geheimnis der Dreifaltigkeit ausmacht: Im einen und dreifaltigen Gott findet zwischen den Personen des Vaters und des Sohnes ein ewiger Austausch der Liebe statt; und diese Liebe ist keine Energie oder ein Gefühl, sondern eine Person: der Heilige Geist.
Das Kreuz Christi offenbart die Liebe Gottes in Fülle
Wie offenbart sich uns Gott-Liebe? Wir sind hier an der zweiten Station unseres Weges angelangt. Auch wenn es schon in der Schöpfung deutliche Spuren der göttlichen Liebe gibt, so geschah die volle Offenbarung des innersten Geheimnisses Gottes in der Fleischwerdung, als Gott selbst Mensch wurde. In Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, haben wir die Liebe in ihrer ganzen Tragweite kennen gelernt. In der Tat, so habe ich in der Enzyklika Deus caritas est geschrieben, sind „das eigentlich Neue des Neuen Testaments (…) nicht neue Ideen, sondern die Gestalt Christi selber, der den Gedanken Fleisch und Blut, einen unerhörten Realismus gibt“ (12).
Die Offenbarung der göttlichen Liebe ist total und vollkommen am Kreuz, wo – wie der heilige Paulus sagt – „Gott aber (…) seine Liebe zu uns darin erwiesen (hat), dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren“ (Röm 5,8). Jeder von uns kann somit wahrhaft sagen: „Christus hat mich geliebt und sich für mich hingegeben“ (vgl. Eph 5,2).
Insofern es durch sein Blut erlöst wurde, ist kein menschliches Leben unnütz oder von geringem Wert, da wir alle persönlich von ihm mit einer leidenschaftlichen und treuen Liebe geliebt werden, einer Liebe ohne Grenzen. Das Kreuz – Irrsinn für die Welt, Skandal für viele Gläubige – ist hingegen „Weisheit Gottes“ für all diejenigen, die sich in den Tiefen des eigenen Seins berühren lassen, „denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen, und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen“ (vgl. 1 Kor 1,24-25). Ja, mehr noch: Der Gekreuzigte, der nach der Auferstehung die Male seines Leidens für immer trägt, lässt die „Täuschungen“ und Lügen in Bezug auf Gott, die im Gewand von Gewalt, Rache und Abweisung daherkommen, offenbar werden. Christus ist das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt und den Hass aus dem Herzen des Menschen vertreibt. Das ist die wahre „Revolution“, die er bringt: Liebe.
Den Nächsten lieben wie Christus uns liebt
So sind wir bei der dritten Station unserer Überlegung angekommen. Am Kreuz ruft Christus: „Mich dürstet“ (Joh 19,28). So offenbart er den brennenden Durst danach, zu lieben und geliebt zu werden – von einem jeden von uns. Nur wenn es uns gelingt, die Tiefe und Intensität dieses Geheimnisses zu erfassen, wird uns die Notwendigkeit und die Dringlichkeit klar, ihn unsererseits zu lieben wie er uns geliebt hat. Das bringt die Bemühung mit sich, getragen von Seiner Liebe auch das eigene Leben für die Brüder hinzugeben, falls es notwendig sein sollte. Schon im Alten Testament hat Gott gesagt: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Lev 19,18). Die Neuheit Christi aber besteht in der Tatsache, dass „wie er lieben“ heißt: alle lieben, ohne Unterschied; auch die Feinde, „bis zur Vollendung“ (vgl Joh 13,1).
Zeugen der Liebe Christi
Jetzt möchte ich bei drei Bereichen des alltäglichen Lebens innehalten, in denen Ihr, liebe Jugendlichen, besonders aufgerufen seid, die Liebe Gottes offenbar werden zu lassen.
Der erste Bereich ist die Kirche, die unsere geistliche Familie ist und sich aus allen Jüngern Christi zusammensetzt. Nährt eingedenk seiner Worte: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ (Joh 13,35), die Tätigkeiten der Pfarreien, der Gemeinschaften, der kirchlichen Bewegungen und der Jugendgruppen, an denen Ihr teilnehmt, mit Eurem Enthusiasmus und mit Eurer Liebe. Sorgt Euch darum, das Wohl des anderen zu suchen, in Treue zu den eingegangenen Verpflichtungen. Zögert nicht, freudig auf einige Eurer Vergnügungen zu verzichten. Nehmt frohen Herzens die notwendigen Opfer auf Euch. Bezeugt Eure treue Liebe zu Jesus, indem Ihr sein Evangelium besonders unter Euren Altergenossen verkündet.
Sich auf die Zukunft vorbereiten
Der zweite Bereich, in dem Ihr dazu berufen seid, die Liebe zum Ausdruck zu bringen und in ihr zu wachsen, ist Eure Vorbereitung auf die Zukunft, die Euch erwartet. Wenn Ihr verlobt seid, hat Gott einen liebevollen Plan für Eure Zukunft als Ehepaar und Familie, und deshalb ist es so wesentlich, dass Ihr ihn mit Hilfe der Kirche entdeckt, frei vom verbreiteten Vorurteil, dass das Christentum mit seinen Geboten und Verboten der Freude der Liebe Hindernisse in den Weg lege und im besonderen verhindere, jenes Glück zu genießen, das Mann und Frau in ihrer gegenseitigen Liebe suchen.
Die Liebe des Mannes und der Frau steht am Ursprung der menschlichen Familie, und das aus Mann und Frau gebildete Paar hat seinen Grund im ursprünglichen Plan Gottes (vgl. Gen 2,18-25).
Zu lernen, sich wie ein Paar zu lieben, ist ein wunderbarer Weg, der nichtsdestoweniger eine anspruchsvolle Lehrzeit erfordert. Die Verlobungszeit ist grundlegend für den Aufbau des Paares; sie ist eine Zeit der Erwartung und der Vorbereitung, die in der Keuschheit der Gesten und der Worte zu leben ist. Dies gestattet es, in der Liebe, in der Fürsorge und in der Aufmerksamkeit dem anderen gegenüber zu reifen; es hilft, Selbstbeherrschung zu üben und die Achtung vor dem anderen zu entwickeln.
All dies sind Kennzeichen der wahren Liebe, die an erster Stelle weder die eigene Befriedigung noch das eigene Wohlergehen sucht. Bittet im gemeinsamen Gebet den Herrn darum, dass er Eure Liebe behüte und vermehre und sie von jeglichem Egoismus reinige. Zögert nicht, dem Ruf des Herrn großherzig zu folgen, denn die christliche Ehe ist eine wahre Berufung in der Kirche.
Liebe jungen Männer und Frauen, seid gleichermaßen bereit, Ja zu sagen, wenn Gott Euch ruft, ihm auf dem Weg des Priestertums oder des geweihten Lebens nachzufolgen. Euer Vorbild wird vielen anderen Eurer Altersgenossen, die auf der Suche nach dem wahren Glück sind, zur Ermutigung gereichen.
In der Liebe wachsen – jeden Tag
Der dritte Bereich des Einsatzes, den die Liebe mit sich bringt, ist der des alltäglichen Lebens mit seinen mannigfaltigen Beziehungen. Ich beziehe mich insbesondere auf die Familie, die Schule, die Arbeit und die Freizeit.
Liebe Jugendliche, pflegt Eure Talente nicht nur, um einen sozialen Status zu erobern, sondern auch, um den anderen beim „Wachsen“ zu helfen. Entwickelt Eure Fähigkeiten nicht nur, um „konkurrenzfähiger “ und „produktiver“ zu werden, sondern um „Zeugen der Nächstenliebe“ zu sein.
Verbindet mit der Berufsausbildung das Bemühen, religiöse Kenntnisse zu erwerben, die nützlich sind, um Eure Sendung auf verantwortliche Weise verwirklichen zu können. Ich lade Euch insbesondere dazu ein, Euch in die Soziallehre der Kirche zu vertiefen, damit ihre Prinzipien Euer Handeln in der Welt inspirieren und erleuchten.
Der Heilige Geist mache Euch erfindungsreich in der Nächstenliebe, standhaft in den Aufgaben, die Ihr übernehmt, und kühn in Euren Initiativen, damit Ihr Euren Beitrag für die Errichtung der „Zivilisation der Liebe“ leisten könnt. Der Horizont der Liebe ist wirklich grenzenlos; er ist die ganze Welt!
Dem Beispiel der Heiligen folgend „die Liebe wagen“
Liebe Jugendliche, ich möchte Euch dazu einladen, „die Liebe zu wagen“; das heißt, nicht weniger für Euer Leben zu ersehnen als eine starke und schöne Liebe, die fähig ist, das ganze Dasein zu einer freudigen Verwirklichung der Gabe Eurer selbst an Gott und die Brüder zu machen, in Nachahmung dessen, der durch seine Liebe für immer den Hass und den Tod besiegt hat (vgl. Offb 5,13).
Die Liebe ist die einzige Kraft, die imstande ist, die Herzen der Menschen und der ganzen Menschheit zu wandeln und die Beziehungen zwischen Männern und Frauen, zwischen Reich und Arm, zwischen Kulturen und Zivilisationen nutzbringend zu machen. Davon legt das Leben der Heiligen Zeugnis ab, die als wahre Freunde Gottes Kanal und Abglanz dieser ursprünglichen Liebe sind. Bemüht Euch darum, sie besser kennen zu lernen; vertraut Euch ihrer Fürsprache an und versucht, wie sie zu leben.
Ich begnüge mich damit, Mutter Teresa zu zitieren: Weil sie auf den Ruf Christi „Mich dürstet!“– einen Schrei, der sie zutiefst bewegte – prompt antworten wollte, begann sie, die Todgeweihten auf den Straßen Kalkuttas in Indien aufzulesen. Von da an bestand die einzige Sehnsucht ihres Lebens darin, den Durst Jesu nach Liebe zu löschen – nicht mit Worten, sondern mit konkreten Handlungen, wobei sie dessen entstelltes, nach Liebe dürstendes Antlitz im Gesicht der Ärmsten unter den Armen erkannte. Die selige Teresa setzte die Lehre des Herrn in die Praxis um: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (vgl. Mt 25,40). Und die Botschaft dieser demütigen Zeugin der göttlichen Liebe hat sich in der ganzen Welt verbreitet.
Das Geheimnis der Liebe
Einem jeden von uns ist es gegeben, denselben Grad an Liebe zu erreichen – aber nur, wenn wir die unverzichtbare Hilfe der göttlichen Gnade in Anspruch nehmen. Nur die Hilfe des Herrn erlaubt es uns nämlich, angesichts der gewaltigen Größe der zu erledigenden Aufgabe nicht der Resignation zu erliegen, und nur sie verleiht uns den Mut, das zu verwirklichen, was nach menschlichem Ermessen undenkbar ist.
Vor allem die Eucharistie ist die große Schule der Liebe. Nimmt man regelmäßig und mit Ehrfurcht an der Heiligen Messe teil, verbringt man in Gesellschaft mit dem eucharistischen Jesus lange Pausen der Anbetung, so ist es leichter, die Länge, Breite, Höhe und Tiefe seiner Liebe zu begreifen, die jede Erkenntnis übersteigt (vgl. Eph 3,17-18). Durch das Teilen des eucharistischen Brotes mit den Brüdern der kirchlichen Gemeinschaft wird man dann dazu angetrieben, die Liebe Christi „in Eile“, wie es die Jungfrau im Fall von Elisabeth getan hat, in einen großherzigen Dienst an den Brüdern zu übersetzen.
Unterwegs zur Begegnung in Sydney
Erhellend ist diesbezüglich die Ermahnung des Apostels Johannes: „Meine Kinder, wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit. Daran werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind“ (1 Joh 3,18-19).
Liebe Jugendliche, in diesem Geist lade ich Euch dazu ein, den nächsten Weltjugendtag zusammen mit Euren Bischöfen in Euren jeweiligen Diözesen zu begehen. Er wird eine wichtige Etappe unterwegs zur Begegnung in Sydney sein, deren Thema lautet: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein“ (Apg 1,8).
Maria, die Mutter Christi und der Kirche, helfe Euch, überall den Ruf erschallen zu lassen, der die Welt verändert hat: „Gott ist die Liebe!“ Ich begleite Euch mit dem Gebet und segne Euch von Herzen.
Aus dem Vatikan, dem 27. Januar 2007
BENEDICTUS PP. XVI
ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals; © Copyright 2006 – Libreria Editrice Vaticana
[Modificato da @Andrea M.@ 02/03/2007 20.37]